"Die sind doch alle gleich!" Dieser häufig geäußerte Vorwurf legt nahe, dass es zwischen den (etablierten) Parteien nur geringe inhaltliche Unterschiede gibt und dass die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Stimmen bei Wahlen dementsprechend keine wichtigen Richtungsentscheidungen beeinflussen können. Unsere Auswertungen der Positionen von 231 Parteien und Wählervereinigungen zeigen allerdings, dass bei der Kommunalwahl am 14. März 2021 aus einem vielfältigen Angebot in verschiedenen Politikbereichen gewählt werden kann und dass auch zwischen den etablierten Parteien Differenzen zu Tage treten. Unterschiedliche Antworten geben die Parteien insbesondere auf Fragen zur kommunalen Demokratie, zur öffentlichen Sicherheit, zur Verkehrswende, zur Klimapolitik und Diversität.

Die Positionen der Parteien und Wählervereinigungen zur Kommunalwahl in Hessen

Zu den Kommunalwahlen am 14. März 2021 in Hessen bewerben sich zahlreiche Parteien und Wählervereinigungen um die Sitze in den Gemeindevertretungen der 422 Städte und Gemeinden. Welche programmatischen Angebote werden den Wählerinnen und Wählern gemacht und welche Konflikte und Gemeinsamkeiten treten dabei zwischen den Parteien zu Tage?

Einige Antworten auf diese Fragen liefert der Kommunalwahlkompass. Der Kommunalwahlkompass ist eine Online-Wahlhilfe, ähnlich zum bekannten Wahl-O-Mat. Der Kommunalwahlkompass ist ein Gemeinschaftsprojekt der Technischen Universität Darmstadt, der Goethe-Universität Frankfurt und der Universität Oldenburg. Untersützt wird das Projekt u.a. von der Hessischen Landeszentrale für Politische Bildung, von der Digitalstadt Darmstadt, der F.A.Z. und der VRM.

Der Kommunalwahlkompass erlaubt es, die eigenen Positionen mit denen der Parteien zu vergleichen. Der Kommunalwahlkompass wird in insgesamt 33 hessischen Städten und Gemeinden angeboten. Darunter befinden sich die großen Städte Frankfurt, Wiesbaden, Kassel, Darmstadt, Hanau, Gießen, Marburg, Fulda und Rüsselsheim aber auch kleinere Ortschaften wie z. B. Zwingenberg oder Biedenkopf. Für den Kommunalwahlkompass haben insgesamt 231 Wählervereinigungen und Parteien die Thesen beantwortet. Ein Teil der Thesen greift allgemeine kommunalpolitische Probleme auf. Dieser Teil wurde in allen Kommunen in identischer Formulierung abgefragt und erlaubt somit einen Vergleich der Positionen über Kommunen hinweg. Die Parteien konnten bei der Beantwortung der Thesen zwischen starker Ablehnung, Ablehnung, Neutral, Zustimmung und starker Zustimmung wählen und eine Begründung angeben.

Die im Kommunalwahlkompass erfassten Antworten aller Parteien auf die formulierten Thesen ergeben Einblicke in ihre Positionen zu wichtigen kommunalpolitischen Themenfeldern, wie der öffentlichen Sicherheit, der Verkehrswende oder der Klimapolitik. Dabei müssen die Thesen des Kommunalwahlkompass komplizierte Sachverhalte vereinfachen und entsprechend bilden die Positionen der Parteien dazu auch nur eine vereinfachte Zusammenfassung ab. Deshalb empfiehlt es sich, die genaueren Begründungen der Parteien im Kommunalwahlkompass bzw. in den Wahlprogrammen in den jeweiligen Kommunen nachzulesen.

Bei der Auswertung der Antworten präsentieren wir den Mittelwert der Positionen, den die verschiedenen Stadt- und Ortsverbände der jeweiligen Partei angegeben haben. Die Übersicht enthält zunächst Parteien und Listen, die in zahlreichen Städten antreten und auch die Thesen des Kommunalwahlkompass beantwortet haben. Dies sind die CDU (30 Stadtverbände), die Grünen (29 Stadtverbände), die SPD (33 Stadtverbände), die AfD (10 Stadtverbände), die FDP (29 Stadtverbände), die Linke (11 Stadtverbände) und die FREIEN WÄHLER (16 Stadtverbände).

Über die Positionen der jeweiligen Unabhängigen Wählervereinigungen, die in einzelnen Kommunen antreten, kann man sich in den einzelnen Städten mit Hilfe des Kommunalwahlkompass informieren.

Nicht alle Fragen zur kommunalen Demokratie können durch die Kommunen selbst entschieden werden. So ist z. B. die rechtliche Regelung des kommunalen Wahlsystems Sache der Länderparlamente. Dennoch sind die Positionen der lokalen Parteien zum kommunalen Wahlsystem informativ, da sie über landespolitische Einflussnahme auch Reformen bewirken könnten. Wir betrachten drei Themen kommunaler Demokratie genauer.

Das Thema der Direkten Demokratie auf kommunaler Ebene ist kein großer Zankapfel. Alle Parteien, die in die Analyse einbezogen wurden, stehen Bürgerbefragungen bei Großprojekten tendenziell positiv gegenüber, nur die Stärke der Zustimmung fällt unterschiedlich aus.

Stärkere aber weiterhin moderate Unterschiede finden wir in der Haltung der Parteien zum stark personalisierten Kommunalwahlrecht in Hessen. Seit 2001 kommt bei den Kommunalwahlen in Hessen ein Verhältniswahlsystem mit offenen Listen zur Anwendung. Je nach Größe der Kommune können die Bürger wischen 15 und 93 Stimmen vergeben und diese über Parteien verteilen (panaschieren) und über Kandidaten häufen (kumulieren). Das Wahlsystem erlaubt auch die pauschale Wahl einer Parteiliste und ist so gesehen einfacher als das Wahlsystem auf Bundesebene. Allerdings signalisiert der Wahlzettel u.a. durch Auflistung aller Kandidatinnen und Kandidaten für alle Listenvorschläge die Vielfalt der Wahloptionen und sorgt deshalb für Unübersichtlichkeit und Kritik. Ungeachtet dessen zeigt sich in unserer Analyse eine in der Tendenz positive Bewertung der Parteien. Lediglich bei den Linken und der AfD überwiegt die Skepsis leicht.

Deutliche Gegensätze ergeben sich bei der Frage, ob das aktive Wahlrecht bei Kommunalwahlen bereits durch 16-jährige ausgeübt werden sollte. Während AfD und CDU diese These stark ablehnen, stimmen ihr die FDP und insbesondere SPD, Grüne und Linke zu. Die vergleichsweise großen Unterschiede ergeben sich aus der damit verbundenen offenen Reformdebatte im Land Hessen. Während in 11 von 16 Bundesländern das Wahlrecht bereits auf 16 Jahre abgesenkt wurde, besteht in Hessen weiter die Grenze von 18 Jahren. Das zulässige Wahlalter ist auch strategisch relevant, da jüngere Wähler tendenziell Parteien des linken Spektrums ihre Stimme geben.

Großer Dissens zeigt sich im Politikbereich der öffentlichen Sicherheit, der im Kommunalwahlkompass durch zwei Thesen aufgegriffen wird. Parteien des rechten und des linken Spektrums geben darauf gegensätzliche Antworten. Der Videoüberwachung im öffentlichen Raum stehen vor allem Linke, Grüne, FDP und SPD ablehnend gegenüber während sie von FREIEN WÄHLERN, CDU und AfD eher befürwortet wird. Eine erhöhte Präsenz der Polizei im öffentlichen Raum lehnt die Linke recht deutlich ab, die Grünen bewerten diese Frage neutral, während die übrigen Parteien mit einigen Abstufung mehr Polizeipräsenz wünschen.

Die Verkehrswende gehört insbesondere in den Städten zu den heißen Eisen der Kommunalpolitik. Hier zeigen sich über die drei Thesen im Kommunalwahlkompass sehr ähnlich gereihte Parteipositionen. Vor allem Linke und Grüne, gefolgt von der SPD befürworten mehr autofreie Bereiche, mehr Tempo-30-Zonen und einen Ausbau der Fahrradinfrastruktur - im Zweifel auch zu Lasten des Autoverkehrs. CDU und FDP positionieren sich hier neutral. Die AfD bezieht dagegen zu den abgefragten Thesen zur Verkehrswende deutlich eine ablehnende Position.

In der kommunalen Klimapolitik gibt es - zumindest im Lichte der Antworten im Kommunalwahlkompass - keinen grundlegenden Dissens zwischen den etablierten Parteien. Sie unterscheiden sich graduell, stimmen den jeweiligen Thesen aber tendenziell zu. Die AfD schert deutlich aus diesem Muster aus und lehnt die entsprechenden Thesen eher ab.

Fragen von Gender & Diversity sind besonders kulturell aufgeladen. Auch hier besteht für die Kommunen nennenswerter Gestaltungsspielraum, beispielsweise mit Blick auf die Formulierung von Leitfäden zur gendergerechten Sprache oder bei der Einstellungspraxis in der Verwaltung und in kommunalen Unternehmen. Der in der öffentlichen Diskussion wahrgenommene Konflikt bei diesen Fragen spiegelt sich auch in den Positionen der Parteien zu den entsprechenden Thesen im Kommunalwahlkompass wider. Mit Abstufungen stehen AfD, FDP und CDU einer Paritätsanforderung bei der Besetzung von Führungspositionen in Verwaltung und Unternehmen ablehnend gegenüber. Linke und Grüne befürworten dies dagegen oft stark. Bei der gendergerechten Sprache verhält es sich ähnlich. Alle 10 Stadtverbände der AfD lehnen derartige Vorschläge stark ab.

Die Positionen der Römerkoalition und Stadtratsfraktionen in Frankfurt

Unsere bisherige Analyse hatte die mittleren Positionen der Parteien in 33 hessischen Städten und Gemeinden im Blick, die sich stark in ihrer Größe und in den sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten unterscheiden. Abschließend soll das Politikangebot in der größten hessischen Stadt, Frankfurt am Main, im Licht konkreter Streitfragen und mit besonderem Augenmerk auf die Koalitionspartner im Römer, CDU, SPD, und Grüne, betrachtet werden.

In der Verkehrspolitik war die Mainkai-Sperrung in besonderer Weise umstrittenen und Gegenstand öffentlicher Debatte. Im September 2020 endete das einjährige Experiment und entzweit nach wie vor die regierende Koalition zwischen CDU, SPD, und Grünen. Die CDU stimmt der These, dass das Experiment keine dauerhafte Sperrung rechtfertige, in starker Weise zu. Grüne und SPD lehnen dies dahingegen stark ab. Auch für die übrigen Ratsfraktionen zeigt sich eine große Polarisierung zwischen Befürwortern und Gegnern einer zukünftigen Mainkaisperrung.

Starker Zuzug und hohe Mieten machen die Wohnungsbaubaupolitik zum Dauerthema der Frankfurter Kommunalpolitik. In den Debatten werden auch Zielkonflikte zwischen Wohnungsbau und Umweltschutz sichtbar, etwa mit Blick auf die avisierte Bebauung der Günthersburghöfe im Frankfurter Nordend. Im Kommunalwahlkompass wurde dieser Konflikt mit der allgemeineren These aufgegriffen, dass naturnahe Flächen nicht für den Wohnungsbau erschlossen werden sollen. Die Antworten der Parteien zeigen moderate Unterschiede zwischen den Regierungspartnern bei tendenziell positiver Positionierung der Grünen und neutraler Positionierung der CDU und SPD. Darin wird deutlich, dass es sich hier um eine schwierige Frage in der Abwägung von gleichermaßen als wichtig erachteten Ziele handelt.

Auch die öffentliche Sicherheit ist ein wichtiges Thema in der Mainmetropole. Die bereits für alle 33 untersuchten Gemeinden festgestellten Differenzen zeigen sich auch bei den Frankfurter Parteien. Der These, dass die Polizeipräsenz im Bahnhofsviertel zur Kriminalitätsbekämpfung gestärkt werden sollte, wird von der SPD zugestimmt, von der CDU stark, die Grünen lehnen diese These dahingegen ab.